Samstag, 10. April 2010

Tu felix Suevia!

Tu felix Suevia....

Du glückliches Schwaben oder: Hie gut Wirtemberg allewege!
Ein zwar ernstgemeinter aber nicht immer ganz ernst zu nehmender heimatkundlicher, arbeitstechnischer und kulinarischer Beitrag!



Was ist des Herrgotts schönste Gabe an seine furchtlosen und treuen Württemberger?
Sind es die Felsen, die Kornfelder, das helle Licht, das über die Alb flutet?
Die rauschenden dunklen Wälder des kleinen württembergischen Teils vom Schwarzwald?
Die Hecken im Heckengäu, die Weinberge im Unterland?

Ich meine doch, es sind die schwäbischen Streuobstwiesen, Lebensraum für Pflanze, Mensch und Tier, Vielfalt im Großen und Kleinen.
Wohl dem, der solch eine Wiese, im schwäb. ein "Gütle" (Verkleinerung von "Gut") sein Eigen nennt!
Nun ist es aber keineswegs so, dass die Streuobstwiese mit dem Schlaraffenland verwechselt werden dürfte.
Denn getreu dem biblischen Motto vom "Bebauen und Bewahren" (1. Mose 2,15)
ist diese Wiese keineswegs zum Faulenzen unter reifen Früchten da, sondern zur Arbeit. Strecken und Bücken sind gefragt und gefordert und nach einem Tag auf der Wiese tut einem oder einer schon s'Kreuz (genauer: der ganze Rücken vom Hals bis unters Knie...) weh. Aber man oder frau weiß dann wenigstens, wo's herkommt, braucht keinen Doktor und außerdem weiß man oder frau ja, für was sie gschafft haben.
Schwäbische Streuobstwiesen werden über Generationen gepflegt und weitervererbt - viele sind aber auch der Bauplatzsuche und schlimmer noch: - dem Rodungswahn der 60er und 70er Jahre zum Opfer gefallen. Deshalb gibt es bei uns - so stand es in der Zeitung - auch den Wiedehopf nicht mehr. Wer trotzdem noch einen sieht: das ist nur ein Durchzügler auf dem Weg nach Norddeutschland.
Solch eine Wiese bietet dem fleißigen Schwaben Arbeit fürs ganze Jahr. Denn vor der Ernte steht Baumschneiden, Veredeln, Schnittgut vom Boden aufheben (Frauen und Kinder!!!), Mähen, Heuen, Schädlingsfallen aufstellen, Blüten kontrollieren, Wühlmause vertreiben oder einfangen, Vogelhäuser putzen, um Gut Wetter beten,und vieles mehr.
Mancher Schwabe und Gütlesbesitzer, der es zu etwas gebracht hat (Firmenchef, Minister, Kirchenpräsident, Oberstudiendirektor, Global Player aller Art) und nun seine Tage bei Besprechungen und Konferenzen verbringen muss, schaut an schönen Spätwintertagen während dieser aufopferungsvollen Tätigkeiten sehnsuchtsvoll aus dem Fenster und denkt in seines Herzens Sinn: "... ond drhoim sott mr d'Beem schneida..." ("und zuhause sollten die Obstbäume geschnitten werden....")

Nachdem nun dieser lange Winter endgültig gewichen ist, ist die Zeit natürlich knapp. Vieles sollte gleichzeitig getan werden oder wenigstens gut geplant. Gott sei dank sind die Tage nun schon wieder länger.... zum Schaffa....-worin aber auch der einzige Vorteil der elendiglichen Zeitumstellung zu sehen ist! -
Und so sieht man allenthalben Bilder wie diese oder hört den einen oder anderen Bulldog durchs Dorf rattern, raus aufs Wiesle, der nach getaner Arbeit heim....



Die Woche gehört der Arbeit, die Sonntage dem Herrgott,
die Samstage aber der Wiese, dem Gütle, dem Sach - mindestens für die Männer.
Der furchtlosen und treuen Würtembergerin aber gehört der Garten, denn auch da gibt es jetzt ja genügend zu tun; ihr gehört aber auch die Küche. Samstags wird immer etwas einfacher und knapper gekocht; da haben die Schwäbinnen viele schnelle und einfache Samstagsessen erfunden.
Am Kuchen allerdings wird nicht gespart. Denn der ist der Lohn für alle Mühe, unter der Woche im Gschäft (bei der Arbeit) und am Samstag auf dem Gütle.

Der Sonntagskuchen ist ein Muss und oberste Pflicht jeder schwäbischen Hausfrau und Gütlesbesitzerin. Dafür ist allein sie zuständig.
So verwertet sie ab Juni (wenn es die frühe Kirschen gibt, falls Läuse und Würmer, Hagel und Regen ihnen nicht schon den Garaus gemacht haben) bis in den November (späte Äpfel und Birnen) das frische Obst. Im Winter hat sie einen großen Vorrat an Lageräpfeln und Birnen oder an eingedünschtetem Obst; in neueren Zeiten darf es auch tiefgefroren sein. Grührter Kuchen oder Zopf sind allenfalls eine Beigabe und werden dann ab Montag in den Kaffee eingebrockt.

Die Krönung aller schwäbischen Obstkuchen ist aber der Apfelkuchen.
Eine Apfelkuchen ist halt einfach ein Apfelkuchen!

Schwaben sind aber nun bei aller Heimatverbundenheit durchaus international versiert und offen für Neues. Schon die schwäb. Sprache zeigt dies: Trottoir, Pissoir, Schässloh (Chaiselongue), Schofför (Busfahrer) und viele andere Wörter zeigen die Nähe zu Frankreich. Nur Baden liegt dazwischen. Beim heutigen Kuchen habe ich mich dagegen an unsere Verbundenheit zu England erinnert.
Suevia meets England - das kann durchaus glücklich sein, wie schon die Heirat unseres dicken Fritz (König Friedrich I. von Württemberg) mit der englischen Prinzessin Charlotte Mathilde zeigte.

Mein Kuchen nimmt ein englisches Rezept auf, das ich hier gefunden habe.
Allerdings doch schwäbisch veredelt:
Auf den Mürbteig (200g Mehl, 100g Fett, 50 g Zucker, 1 Ei) kommt:
Träublesgsälz (Johannisbeermarmelade), selbstgemacht,
dann zwei Lagen dünn geschnittene Äpfel von Schwäb. Streuobstwiesen


1 Handvoll Zibeben (Rosinen)
ein Guss aus 3 Eiern ( die schwäb. Bäckerin trennt nicht gerne und verwendet statt 2 Eigelb, bei denen die Eiweiß nur irgendwie rumstehen, lieber 1 ganzes Ei),
100g gemahlenen Mandeln, 100g Puderzucker, 1 Päckle Vanillzucker..

Das ganze in den Ofen, bei mir bei Umluft 165 Grad, ein knappes Stündle.



und dann darf sich die ganze Familie das schmecken lassen, sonntags, am Tag des Herrn -
und oft nicht erst nachmittags, sondern dann, wenn es bei den Schwaben "zum Kaffee" heißt, nämlich schon zum Frühstück, vor dem Kirchgang.
Den Rest gibt es dann nach dem nachmittäglichen Spaziergang über die Wiesen, aber nur, wenn noch was übrig ist.

Und deshalb: Solange es noch schwäb. Streuobstwiesen und solche guten Kuchen gibt, ist Schwaben noch nicht verloren. Se lobets älleweil no! (Schwaben wird immer noch bewundert und gelobt!)
In diesem Sinne grüße ich alle Schwäbinnen und Schwaben: Hie gut Wirtemberg allewege!
Den anderen wünsche ich ein Schmunzeln bei soviel Patriotismus (alles nicht ganz so ernst zu nehmen....), einen guten Appetit und viel Spaß beim Nachbacken!

Und weil morgen vor dem Kirchgang das Frühstück etwas knapper ausfällt (mit vollem Magen predigt es sich schlecht...) und über Nacht die Mäus' drüberherfallen könnten ( vor allem die zweibeinigen....),
habe ich mir schon jetzt das erste Stückle schmecken lassen.
Mein Urteil: Sehr gut! Zur Nachahmung dringend empfohlen!

11 Kommentare:

Nora Blum hat gesagt…

hm, sieht sehr lecker aus.
LG Nora

Brigitte hat gesagt…

Ich fand das jetzt einen ganz tollen Beitrag für uns Schwoba, auch wenn mein Gei bayerisch Schwaben ist. Was man ja in Wirrtemberg lieber nicht laut als solcher sagen sollte! Aber als alte Ulmerin weiß ich wohl von was du da erzählt hast. Die Streuobstwiesen, das Heiligtümle der Schwoba! Ond d' Alb! Ein Kapitel für sich!

Als Krönung des Ganzen - ein wahrhaft schmackhafter Apfelkuchen, den ich mir herauskopieren werde, wenn du erlaubst, denn den muss ich probieren. Der ghert zu d'Schwoba!

Klasse, Ingrid. Auch wenn ich aus Erfahrung weiß, dass solche Beiträge immer eher weniger Leser haben, ich finde sie sehr wertvoll!

Lieben Gruss, Brigitte

Kathrin Müller hat gesagt…

Hallo Ingrid, eben nachgebacken, duftet herrlich und sieht gut aus. Habe aber eine thüringer Variante draus gemacht mit selber gerührter Brombeermarmelade. Immerhin nennt man uns ja auch die Schwaben des Ostens. ;-)
Dein Beitrag war bildhaft schön zu lesen und ich freu mich auf den Sommer, wenn wir mal wieder an diesen Streuobstwiesen lang kommen.

Conny hat gesagt…

Liebe Ingrid!

Danke für Deinen schönen Bericht und das leckere (und für mich ganz wichtig: EINFACHE Rezept).
Gerade wurde der Kuchen in den Ofen geschoben und ich hoffe er wird uns nachher zum Sonntagskaffee munden.

Liebe Grüsse ins nich allzuweit entfernte Schwabenland,

Conny

andrella hat gesagt…

Hallo Ingrid,
hier gibts nur noch ganz wenig Streuobstwiesen, leider! Der Kuchen sieht fantastisch aus, danke für das Rezept!
Ich wünsch dir eine schöne Woche und schicke liebe andrellagrüße

Wernicke Margit hat gesagt…

Ich habe mich über diesen ganzen Beitrag köstlich amüsiert, mit wieviel Liebe Du alles erzählt hast, danke. Für mich sind diese Schilderungen so schöööööööööön,
im Dialekt und über die Streuobstwiesen, herrlich.
Das Rezept werde ich mir
merken und, Äpfel gibt es auch bei
uns noch von der letzen Ernte.
Danke ganz herzlich und wünsche Dir einen schönen Tag, margit

jane`s hat gesagt…

Hät ich doch nur früher geschaut, dann hät ich meinen Gästen nicht so eine dröge Sandtorte anbieten müssen!
Ging aber mit Eierlikörsahne auch ganz gut runter.

GlG Jane

Wapiti hat gesagt…

Der Wahnsinn! Danke für das leckere Rezept :)

Liebe Grüßle,
Nane

antje hat gesagt…

ich stimme dir zu, aber: seit wann sind Streuobstwiesen spezifisch schwäbisch? (oder fränkisch? badisch? holsteinisch?

Ingrid hat gesagt…

@Antje:
Klar weiß ich, dass es auch woanders zum Glück noch Streuobstwiesen gibt; und deshalb habe ich sie auch nicht als spezifisch schwäbisch bezeichnet, sondern nur als "schwäbisch", was anderes ja nicht ausschließt.
Und egal wo, Hauptsache sie werden noch gepflegt, und vieles wächst und gedeiht!
Liebe Grüße
Ingrid

Unknown hat gesagt…

Oh wie lecker. Genau nach meinem Geschmack. Ich bin Badnerin und mag auch nicht, dass ein Teil der getrennten Eier auf einen separaten Einsatz wartet.
Liebe Grüße
Renate

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