Mittwoch, 28. August 2019

Dreifach geflaggt...

... habe ich heute. Nicht, weil ein besonderer Tag wäre; weder Geburtstag noch Hochzeit oder irgendein Jubiläum. Ein ganz normaler Ferienalltag mit Arbeit zwischen Garten und Haus und dem täglichen Besuch im Schwimmbad.

Großputztage - müssen auch mal sein Und bei 30 Grad im Schatten bieten sich Ausflüge und Wanderungen nicht an. So habe ich gestern im Ex-Knabenzimmer mal den Schrank von oben abgeputzt - und fand eng zusammengerollt diese 3 Fahnen. Entstaubt und frisch gewaschen habe ich erst im Garten geflaggt und dann auf der Treppe. Wie es sich gehört - vor dem Haus. Denn im Garten sieht die Flaggen keiner.

Zu den Flaggen gehören Geschichten. Ich fang mal von hinten an, mit der Deutschlandfahne. Unverkennbar. Die haben wir wohl zur WM 2006 gekauft. Das Sommermärchen - viele werden sich erinnern. Die Kinder (Jugendliche) fuhren zum PublicViewing mit dem Bus in die Stadt; die Mutter holte sie dann nach Spielende irgendwo zwischen Innenstadt und Stadtrand ab. Meist an der Filsbrücke am Christophsbad. Denn der letzte Bus, der fuhr schon um 19 Uhr.
Und wie enttäuscht wir alle waren, als es dann doch nichts wurde mit dem Weltmeistertitel. Und dann auch noch verloren in den letzten Minuten und das gegen Italien.... (wenn ich mich recht erinnere).
Wie cool war dagegen dieses 4: 0 oder mehr gegen Argentinien. Ich erinnere mich gut. Samstagnachmittag. Brütend heiß, was klar war. Denn das ist immer so, wenn unsere Schule Abi-Ball feiert. Das 1:0 sah ich noch im heimatlichen Fernseher. Den Jubel zum 2:0 hörte ich im Bad, als ich mich bei Affenhitze in die Strümpfe quälte. Und fuhr dann los. Bereits im Tal unten stand es 3:0 und als ich den unterwegs wartenden Kollegen einsteigen ließ, konnte ich ihm schon das 4:0 vermelden. Zumindest meine ich mich entsprechend zu erinnern. Vielleicht war ja auch alles ganz anders...
Und ja, ja, ja, es war anders. Gegen Argentinien, das war eine andere WM. Wohl 2010. Denn 2006 war der Kollege, den ich zum Abiball chauffiert habe, noch gar nicht mein Kollege. Aber es war WM, Abiball, heiß und Argentinien verlor haushoch. Tempi passati.

Dann die Fahne mit dem schönen Turm. Wangerooge.
1994, 1995, 1997 war ich dort Kurpredigerin. Die Familie mit dabei.
Sehr, sehr gerne waren wir dort mit den noch kleinen Kindern. Der Sohn noch nicht mal im Kindergarten und durfte dann doch schon mit der großen Schwester in den Kurkindergarten, wenn wir Eltern bei den Kur-anwendungen im Bad waren. Mit Schaudern erinnere ich mich nach all den Jahren immer noch  an ein viel zu heiß eingelassenes Wannenbad. Der Termin lag recht knapp nach dem Mittagessen, das der Gatte in der Ferienwohnung gekocht hatte.  Sehr, sehr leckere Spaghetti Bolognese; ich sehe sie heute noch glänzen und rieche den wunderbaren Duft. Und dazu hatte ich ein schönes Glas Jever getrunken. Ein kleines nur. Aber dann das heiße Bad. Das passte einfach nicht zusammen.
Dem Gatten ging es ähnlich. Recht elend beieinander waren wir froh, die Kinder gut aufgeräumt im Kurkindergarten zu wissen und uns noch ein Viertelstündchen im Ruheraum erholen zu können.
Ansonsten erinnere ich mich gerne an viele Dienste in der Kirchengemeinde; Sonntagsgottesdienste, Beerdigung, Goldene Hochzeit, Taufen, Seelsorgegespräche, Vorträge - und vor allem die Taizeandacht am späten Abend. Die habe ich mitgenommen in unsere hiesige Gemeinde. Der Abendsegen - wir gehen dieses Jahr damit ins zweite Vierteljahrhunderte. Unter dem Schlussstein der Heiligen Cäcilie, in unserer schönen alten Cäcilienkirche.
Und dann noch: Norderney. Auch daran erinnere ich mich gerne. An die Samstagabendandachten und die Begegnung mit der aus dem Schwäbischen, den Lutherischen Bergen stammenden Diakonisse, an die vielen Gespräche mit ihr, ihren trockenen Humor, ihre Lebensfreude, ihre Zugewandtheit zu den Kindern, die sie im Kinderkrankenhaus betreut hat. Kinder, die aufgrund gesundheitlicher Probleme, Haut und Atmung meist, oft nicht bei den Eltern in Städten mit schlechter Luft leben konnten und dauerhaft auf Norderney lebten; dort dann manchmal auch konfirmiert wurden.
Ich erinnere mich sehr gerne an die langen Sommertage und kurzen Nächte.
Und an einen denkwürdigen Friseurbesuch. Auf dem Rückweg von der morgendlichen Dienstbesprechung mit den Kollegen im Pfarramt kam ich an einem Friseursalon vorbei. Der Friseur stand vor der Tür und schaute in den Morgen. Kurz entschlossen fragte ich, ob denn ein Termin frei sei. Aber gerne. Er übergab mich seinem Mitarbeiter und ging wieder vor die Tür um nach Kunden Ausschau zu halten.
Sehr spontan beschloss ich, meine damals für meine Verhältnisse recht langen Haare kurz schneiden zu lassen. Mindestens so kurz, dass sie vom immer und überall wehenden Nordseewind nicht mehr ins Gesicht geblasen wurden. Denn das  nervte mich. Der Herr Friseur war entsetzt. Ob ich das denn wirklich wolle? Ja, ich wolle, so sagte ich. Da griff er zum Kamm und vor allem zur Bürste. Ich muss es einfach sagen - nie, weder vorher noch nachher, wurden meine Haare derart liebevoll gekämmt und gebürstet. Eer fragte noch einmal und auch zum dritten Mal. Ob ich das wirklich wolle? Ob ich mir das auch gut überlegt hätte? Hatte ich nicht, wollte ich aber. Endlich bürstete er ein letztes Mal, fasste die Haare noch einmal zusammen, legte die Bürste weg, griff zur Schere  - und schnitt fantastisch! Auch das muss gesagt werden. Beschwingt ging ich von dannen. Mit kurzen Haaren!

Die Familiengeschichte aber, die immer noch erzählt wird und die zur Flagge gehört, das ist die Geschichte von der großen Silbermöwe und dem Eis.
Zum Glück kenne ich den schaurigen Teil  Geschichte nur vom Hörensagen. Denn ich habe es nicht so mit Vögeln und Möwen aller Art.
Wir waren am Strand und im Strandkorb. Die Kinder fragten, ob sie sich denn oben an der Promenade ein Eis kaufen  und vor allem, ob sie denn allein gehen dürften. Die Tochter ging schon in die 1. Klasse.Es war nicht weit, sie waren zuverlässig und recht selbständig. So erlaubten wir es ihr und dem 3 Jahre jüngeren Bruder, drückten ihnen das Geld in die Hand und sie trabten los. Wir schauten nach, bis sie auf der Promenade waren. Dann waren sie im Menschengewühl verschwunden.. Keine Angst, sie gingen nicht verloren. Nicht in die Irre. Sie bummelten auch nicht. Schluchzend kamen sie angerannt. Einer mit Eis, die andere ohne. Beide in Tränen und Schreck. Unter Tränen berichteten sie: Alles war zunächst gut gegangen. Das Geld hatte gepasst, das Bezahlen geklappt, das Eis ausgewickelt hatten sie zu schlecken begonnen. Da schoss eine riesige Silbermöwe vom Himmel, direkt auf meine beiden armen kleinen Kinder zu und riss einem der beiden das komplette aus der Waffel ragende Eisstück weg. Oder sogar noch mit Waffel?
Den Schrecken kann ich heute noch nachvollziehen.
Deshalb kauften wir am nächsten Tag die Fahne. Auf Vorschlag der Kinder. Zur Abwehr der Möwen,
als wedelnde Drohung es ja nicht noch einmal zu versuchen.Und im Ernstfall als Waffe. So gingen sie künftig weiterhin zum Eisstand auf der Promenade, die eine mit dem Geld in der Faust, der andere heftig die Fahne schwenkend. Auf dem Rückweg musste dann immer eine/r mit der Fahne wedeln, der schönen Norderney-Fahne, zur Warnung an alle Möwen und zum Schutz von Eis und Waffel und Mensch. Alles war gut und blieb gut. Aber die Geschichte gehört zu denen, die zum Mythos wurden. Mindestens in unserer Familie. Erzähltradition nennt man das. Ich muss mal meinen Schwiegersohn fragen, ob er diese Geschichte kennt.
Darum habe ich heute geflaggt. Der Erinnerung und der Geschichten wegen....

und grüße ganz besonders hinauf an die Küste; an die, die hier lesen; an der Ostsee, auf Rügen und anderen Inseln; speziell aber grüße ich, falls es welche gibt,  Leserinnen und Leser auf Norderney und Wangerooge; egal, ob sie dort zu Hause sind oder  urlauben.
Schreibt doch, falls es euch gibt,  bitte einen Kommentar. Das würde mich sehr freuen. ...

1 Kommentar:

Regina hat gesagt…

Liebe Ingrid!

Ich bin zwar nicht im Norden zuhause, möchte dir aber danken für die wunderbaren Familiengeschichten zu den Fahnen, die du uns geschenkt hast! Das Teilen und Erzählen von gemeinsamen Erinnerungen schenkt so viel Verbundenheit (nicht nur in der Familie!)
In diesem Sinne verstehe ich auch die Bibel: immer wieder erzähltes, weitergegebenes und geschenktes Wort Gottes...
Möge es immer was zu erzählen geben!!!!!

Herzliche Grüße aus Oberösterreich,
Regina

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