Samstag, 26. Februar 2022

Im Deutschunterricht....

 ... ab der 9. Klasse habe ich ihn schätzen gelernt, den großen Dichter Bertolt Brecht. Am Ende der 10b habe ich mir vom Schulpreisgeld seine Stücke gekauft, in einem Band. Bis heute steht er in meinem Bücherregal, griffbereit, wenn auch selten gegriffen.
Brecht haben wir rauf und runter gelesen, Epen, Dramen, Gedichte. Zwei Jahre lang. An Klassiker erinnere ich mich aus diesen Jahren weniger... 
Deutschunterricht bei Frau F. - heute noch bin ich dankbar dafür. Jede Stunde hatte jede/r eine Inhaltsprotokoll zu schreiben. Das übt. Das zwingt zum Zuhören und Mitdenken. Frau F. hat hohe Ansprüche gestellt, streng benotet, war unbestechlich. Unbestechlich klar im Geben und Nehmen, in ihrer Argumentation. 
Wie gesagt: Brecht. Sicher mindestens in der Häufung so nicht im baden-württembergischen Deutschlehrplan der 70er Jahre.

Über alle Epen und Dramen hinaus ist mir ein Text im Gedächtnis geblieben;
erst vor wenigen Wochen habe ich ihn im Gespräch mit einem jungen Deutschlehrerkollegen anzitiert. "Wer baute das siebentorige Theben?"
So fragte ein lesender Arbeiter! Historie von unten! Perspektivwechsel!
Herrschaftskritik! Im Gedicht! Auswendig lernen von Gedichte lehnte Frau F. übrigens ab.

Im Deutschaufsatz habe ich mich mit diesem Text beschäftigt und vergnügt,
den Perspektivenwechsel gelernt. 

Vergnügt kann ich nicht sein, in diesen bitteren Tagen - wo wieder einmal deutlich wird, wohin Macht ohne jegliche Akzeptanz von Herrschaftskritik führt: Ins Elend. Auf die Straßen der Flucht, den Rucksack auf dem Rücken, die Kinder an den Händen. Es ist ein Elend.
Durch das Netz zieht im Moment ein "Kindergedicht" von Brecht. Über Kinder. Manche kommentieren, das hätten sie in der Schule auswendig gelernt. Ein nachdenkliches und nachdenkenswertes Gedicht. Ich kannte es nicht. Aufrührend. Voller Schmerz. "Die Bitten der Kinder".

Ich schreibe hier nun mein Aufsatzgedicht ab und rein:

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon?
Wer baute es so viele Male auf?

In welchen Häusern des goldstrahlenden Limas wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer?
Das große Rom ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie?

Über wen triumphierten die Cäsaren?
Hatte das vielbesungene Byzanz nur Paläste für seine Bewohner?
Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.

Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte. So viele Fragen.






1 Kommentar:

Petruschka hat gesagt…

Brecht hatte ich schon lange nicht mehr auf dem Schirm. Danke für den interessanten Beitrag. Und ja, denken die Oberen daran, daß es sie ohne die da unten nicht gäbe?

Herzlichst, Petruschka

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